Am 30. Juni 2019 unterzeichneten EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström und der rumänische Wirtschaftsminister Stefan-Radu Oprea als Vertreter der EU das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Vietnam (EVFTA) in Hanoi. Tran Quoc Khanh, Minister für Industrie und Handel, unterzeichnete das EVFTA im Namen Vietnams.
Am 26. Juni 2018 wurde das EVFTA in zwei separate Abkommen aufgeteilt, eines für Handel und eines für Investitionen. Im August 2018 schlossen die EU und Vietnam die rechtliche Überprüfung des EVFTA und des Investitionsschutzabkommens zwischen der EU und Vietnam (EVIPA) ab. Das EVFTA muss von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament ratifiziert werden, während das EVIPA zusätzlich von den Parlamenten aller EU-Mitgliedsländer ratifiziert werden muss.
Das EVFTA und das EVIPA sollen Unternehmen, Arbeitnehmern und Verbrauchern in der EU und in Vietnam die besten Vorteile bieten. Vietnams BIP wird in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich um 10–15 % und die Exporte um 30–40 % steigen. Gleichzeitig könnten die Reallöhne von Facharbeitern um bis zu 12 % steigen, die Realgehälter von einfachen Arbeitern um 13 %.
Das EVFTA ist das erste umfassende und ambitionierte Handels- und Investitionsabkommen, das die EU jemals mit einem Entwicklungsland in Asien geschlossen hat. Es ist nach Singapur das zweite Abkommen in der ASEAN-Region und wird die bilateralen Beziehungen zwischen Vietnam und der EU intensivieren. Vietnam erhält Zugang zu einem potenziellen Markt mit mehr als 500 Millionen Menschen und einem Gesamt-BIP von 15.000 Milliarden US-Dollar (22 % des globalen BIP).
Marktzugang für Waren
Die EU hat sich verpflichtet, die Zölle für 84 % der Zolltarife für aus Vietnam importierte Waren unmittelbar mit Inkrafttreten des Freihandelsabkommens abzuschaffen. Innerhalb von sieben Jahren nach Inkrafttreten des Freihandelsabkommens werden über 99 % der Zolltarife für Vietnam abgeschafft sein.
Vietnam wird im Vergleich zu anderen Freihandelsabkommen stärker vom EVFTA profitieren, da Vietnam und die EU als zwei sich gegenseitig unterstützende und ergänzende Märkte gelten: Vietnam exportiert Waren, die die EU nicht selbst produzieren kann oder will (z. B. Fischereierzeugnisse, tropische Früchte usw.), während die aus der EU importierten Produkte ebenfalls solche sind, die Vietnam nicht im Inland produzieren kann.
Öffentliches Beschaffungswesen
Vietnam weist eine der höchsten öffentlichen Investitionsquoten im Verhältnis zum BIP weltweit auf (39 % jährlich seit 1995). Bislang hat Vietnam jedoch nicht zugestimmt, dass sein öffentliches Beschaffungswesen unter das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) der WTO fällt. Vietnam hat sich nun erstmals im EVFTA dazu verpflichtet.
Die Verpflichtungen des Freihandelsabkommens zum öffentlichen Beschaffungswesen betreffen vor allem die Gleichbehandlung von EU-Bietern oder inländischen Bietern mit EU-Investitionskapital mit vietnamesischen Bietern, wenn ein Staat Waren kauft oder Dienstleistungen im Wert über dem festgelegten Schwellenwert anfordert. Vietnam verpflichtet sich, Ausschreibungsinformationen zeitnah zu veröffentlichen, den Bietern ausreichend Zeit für die Angebotsvorbereitung und -abgabe einzuräumen und die Vertraulichkeit der Angebote zu wahren. Das Freihandelsabkommen verpflichtet seine Vertragsparteien außerdem, Angebote nach fairen und objektiven Grundsätzen zu bewerten, Angebote ausschließlich anhand der in Bekanntmachungen und Ausschreibungsunterlagen festgelegten Kriterien zu bewerten und zu vergeben sowie ein wirksames System für Beschwerden und Streitbeilegung zu schaffen. Diese Regeln verpflichten die Vertragsparteien, sicherzustellen, dass ihre Ausschreibungsverfahren den Verpflichtungen entsprechen und ihre eigenen Interessen schützen. So kann Vietnam das Problem lösen, dass billige, aber qualitativ minderwertige Dienstleister den Zuschlag erhalten.
Arbeitsschutz
Das EVFTA verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Einhaltung der folgenden Grundprinzipien der ILO:
- Vereinigungsfreiheit und die wirksame Anerkennung des Rechts auf Kollektivverhandlungen;
- Abschaffung aller Formen von Zwangsarbeit;
- Abschaffung von Kinderarbeit; und
- Abschaffung von Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.
Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten beispielsweise Mindestlöhne, Arbeitszeiten sowie Sicherheits- und Gesundheitsschutzstandards gesetzlich festlegen müssen. In diesen Abkommen ist jedoch nicht geregelt, in welchem Umfang diese Rechte gesetzlich verankert werden müssen. Daher bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, einen Mindestlohn festzulegen, der möglicherweise lächerlich niedrig ist.
Da Vietnam bereits Mindestlöhne festlegt, ist die Vereinigungsfreiheit der wichtigste ILO-Standard für das vietnamesische Arbeitsrecht. Dies bedeutet die Freiheit der Arbeitnehmer, eine unabhängige Gewerkschaft zu gründen, eine Gewerkschaft ihrer Wahl zu wählen und das Recht der Gewerkschaften, sich untereinander zusammenzuschließen.
Das EVFTA nennt das Recht auf Vereinigungsfreiheit und die wirksame Anerkennung des Rechts auf Kollektivverhandlungen im veröffentlichten Vertragstext als einen der wichtigsten Standards der ILO. Die Vertragsparteien sind verpflichtet, sich kontinuierlich und nachhaltig um die Ratifizierung grundlegender ILO-Übereinkommen zu bemühen, sofern dies noch nicht geschehen ist. Dies ist für Vietnam wichtig, da es zwar Mitglied der ILO ist, aber die ILO-Übereinkommen Nr. 87 und Nr. 98 über Vereinigungsfreiheit bzw. Kollektivverhandlungen nicht ratifiziert hat.
Durchsetzung von ISDS
Dies ist nun im EVIPA geregelt. Der Begriff „Investition“ im Sinne des EVIPA beschränkt sich auf Vermögenswerte, die sich im Eigentum oder unter der direkten oder indirekten Kontrolle eines Investors aus der EU/Vietnam auf vietnamesischem/europäischem Gebiet befinden und die Merkmale einer Investition aufweisen (z. B. Bereitstellung von Kapital oder anderen Ressourcen, Erwartung von Gewinn, Übernahme von Risiken und eine bestimmte Laufzeit). Bei Streitigkeiten bezüglich der Investition kann ein Investor den Streit zur Beilegung vor ein Investitionsgericht bringen (Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus – ISDS). Das bedeutet, dass der Investor nicht auf seine Regierung Einfluss nehmen muss, um den Fall in seinem Namen vorzubringen. Um die Fairness und Unabhängigkeit des Schiedsgerichts zu gewährleisten, wurde ein ständiges internationales Investitionsgericht mit neun Mitgliedern eingerichtet: jeweils drei Staatsangehörigen aus der EU und Vietnam sowie drei Staatsangehörigen aus Drittstaaten. Die Fälle werden von einem dreiköpfigen Gericht verhandelt, das vom Vorsitzenden nach dem Zufallsprinzip und ohne Vorhersehbarkeit ausgewählt wird. Dies soll auch einheitliche Entscheidungen in ähnlichen Fällen gewährleisten und so die Streitbeilegung vorhersehbarer machen. Das EVIPA erlaubt auch die Einsetzung eines einzigen Tribunals, wenn der Kläger ein kleines oder mittleres Unternehmen ist oder die Entschädigung für Schadenersatzansprüche relativ gering ist. Dies ist ein flexibler Ansatz, wenn man bedenkt, dass Vietnam noch ein Entwicklungsland ist.
Sollte eine der Streitparteien mit der Entscheidung des Schiedsgerichts nicht einverstanden sein, besteht die Möglichkeit, beim Berufungsgericht Berufung einzulegen. Dieses Verfahren unterscheidet sich zwar vom üblichen Schiedsverfahren, ähnelt aber dem zweistufigen Streitbeilegungsverfahren der WTO (Panel und Berufungsgremium). Wir sind überzeugt, dass dieses Verfahren Zeit und Kosten im gesamten Verfahren sparen kann.
Der endgültige Vergleich ist bindend und kann von den lokalen Gerichten unbestritten vollstreckt werden, mit Ausnahme eines Zeitraums von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Freihandelsabkommens mit Vietnam.
Bitte beachten Sie jedoch, dass ISDS nicht automatisch auf alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit Investitionen anwendbar ist, die unter das IPA fallen. Die Streitparteien können sich vielmehr auf andere Mittel zur Beilegung des Streits einigen, beispielsweise durch internationale Handelsschiedsgerichte, lokale Gerichte, Verfahren im Rahmen der Welthandelsorganisation oder andere Verfahren im Rahmen anderer internationaler Abkommen, denen sowohl die EU als auch Vietnam angehören. Es ist wichtig, dass Sie das richtige Forum wählen, um Ihre Erfolgschancen zu maximieren. Wir unterstützen Sie gerne!
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Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Dr. Oliver Massmann unter [email protected]. Dr. Oliver Massmann ist Geschäftsführer von Duane Morris Vietnam LLC.
VIELEN DANK!